Ausgerechnet zu Füßen des Schillerdenkmals in Stuttgart haben sich am Sonntag tausende Menschen für die sogenannte „Demo für alle“ versammelt. Gefolgt sind Sie dem Aufruf des Bündnisses „Für Ehe und Familie – Stoppt Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder!“ An dem Ort, an dem jedes Jahr im Sommer bei der Hocketse der Aids-Hilfe Stuttgart die Menschen die Vielfalt und Toleranz feiern, wurde nun gegen die angebliche „Gender-Ideologie“, die frei erfundene „Sexualisierung der Kinder“ und die „Homo-Ehe“ gewettert. Und der arme Schiller, der den Deutschen im 18. Jahrhundert Vernunft-, Humanitäts- und Freiheitsideale näher gebracht hatte, musste bewegungslos von seinem Sockel zuschauen. Das hat er nicht verdient.

Es ist nicht richtig, alle Teilnehmenden der sogenannten „Demo für alle“ als „Nazis“ und „Faschisten“ zu diffamieren. Viele, die sich dieser Demo angeschlossen haben, sind wahrscheinlich wirklich von der Sorge um die Erziehung ihrer Kinder, dem Erhalt der Familie und ihren Werten angetrieben. Dialog statt Diffamierung würde bei diesen Menschen das Verständnis für die Perspektive, die Sorgen und Wünsche der anderen fördern. Es kann aber auch nicht richtig sein, dass sich bei der sogenannten „Demo für alle“ Menschen auf die Bühne stellen und Dinge über den Bildungsplan in Baden-Württemberg, über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, die Liebe anderer Menschen sowie die Gender-Theorie erzählen, die überprüfbar falsch sind. Und das sie dazu noch Gott als Zeugen aufrufen, von dem sie gleichzeitig sagen „Gott ist Liebe“.

Vor der Oper Stuttgart fand parallel zur Demo auf dem Schillerplatz unter dem Titel „Shakespeare in Love“ ein Kulturfest für alle statt. Hätte Schiller von seinem Sockel steigen können, wäre er sicher dorthin gegangen, denn dort wurde versucht mit Kunst und Kultur ein Zeichen gegen Intoleranz und ideologische Abschottung zu setzen. Der „Bau einer wahren politischen Freiheit“ war für Schiller das „vollkommenste aller Kunstwerke“ (Über die ästhetische Erziehung des Menschen).

Ich bin froh, dass in unserem Land jede und jeder auf die Straße gehen darf, um die eigene Meinung zu vertreten. Es darf dabei auch laut, kämpferisch, bunt und schrill zugehen. Berührend und profiliert beispielsweise das Plädoyer für Vielfalt und Toleranz von Rosa Oppossum bei „Keine Demo für alle“. Das Ziel einer Demonstration kann es aber nicht sein, die anderen vom Platz zu fegen oder mundtot zu machen. Daran haben sich leider viele Gegner der sogenannten „Demo für alle“ nicht gehalten. Das Ziel muss es sein, mit den eigenen Argumenten zu überzeugen und so die Vernunft-, Humanitäts- und Freiheitsideale zu bewahren, die Schiller schon vor über 200 Jahren in seinen Texten beschrieben hat.

Zugegeben: Nicht alle Menschen sind gleichermaßen dialogfähig. Aber die, die es sind, sollten von ihren Fähigkeiten Gebrauch machen. Damit Schiller nicht wieder aus Stuttgart fliehen muss, weil es ihm hier zu eng geworden ist.